Spinat ist gesund!

Spinat ist gesund, weil er 10 mal mehr Eisen enthält als alle anderen Gemüse. Daher ist es wichtig, daß Kinder regelmäßig Spinat essen. Müssen. - ISS! Diversifikation ist extrem risikobehaftet und mit hohen Aufwendungen verbunden. Deshalb dürfen rational denkende Manager oder Unternehmer sich nicht auf solche Abenteuer einlassen. Finger weg. STOPP!

Ansoffs Erben

Die Produkt-Markt-Matrix von Ansoff hat schon vor vielen Jahren angefangen ein eigenartiges Eigenleben zu führen. Viele Präsentationen z.B. von Unternehmensberatern aber auch von Hochschuldozenten verbreiten: “Schuster, bleib bei Deinen Leisten”. Die einfache Botschaft: wer außerhalb seines angestammten Produktportfolios bzw. Märkte innoviert wird Schaden nehmen weil Aufwand und Risiko im Vergleich mit inkrementalen Innovationen extrem ansteigen. Im Falle von Diversifikation (neues Produkt auf neuem Markt) stiege der Aufwand um ganze 1600% bzw. das Risiko des Scheiterns auf 95%. Das tut weh (und ist gleichzeitig soooo bequem, denn ich muss als Unternehmen nix neues machen). Angesichts dieser Dimensionen wollte ich die Quelle kennen lernen - dort mußte doch. so habe ich vermutet, noch viel mehr an wertvoller Information zu finden sein. Beispielsweise der Nutzen aus solchen Diversifikationsentscheidungen, der solche immensen Risiken rechtfertigen könnte. Die verwendeten Aufwandsziffern lassen sich bis auf ein erstmals 1972 erschienenes Buch zurückverfolgen (Aurich & Schroeder. 1972. System der Wachstumsplanung im Unternehmen. München. 2. Auflage 1977 unter dem Titel Unternehmensplanung im Konjunkturverlauf) Nach einer Auflistung der zu erwartenden “Schwierigkeiten, Risiken und erforderlichen Anstrengungen des Unternehmens bei der Realisierung einer dieser Extensivierungsstrategien lassen sich die folgenden Relationen erwarten […]” folgen die bekannten Angaben und der entscheidende Nachsatz: “Diese - sicherlich sehr globalen - Schätzwerte [sic!] deuten vor allem darauf hin, daß Extensivierungsstrategien besonders sorgfältig ausgewählt und geplant werden müssen” (S. 243 in der 2. Auflage) Zu meinem nicht geringen Erstaunen handelt es sich bei diesen seit ihrer Publikation so oft zitierten und wiederholten Zahlen um Schätzungen der Autoren die nicht empirisch untermauert sind. Keine Quelle, keine Studie, nicht einmal eine Umfrage. Nichts! Und erst recht keine Angaben zum möglichen Nutzen der einzelnen Strategietypen! Die Angaben zur Erfolgswahrscheinlichkeit stammen aus einer Zeitschrift mit dem schönen Titel “Literatur-Berater Wirtschaft” und wurden 1979 in einer Literaturübersicht zum Thema Innovation im Unternehmen aufgeführt (Hinterhuber & Thom. 1979. Innovation im Unternehmen. In: Literatur-Berater Wirtschaft Heft 2 S. 13-19) Gleich unten in der ersten Spalte steht das Gesuchte in einer “Größenordnungsmäßige Verteilung der Erfolgswahrscheinlichkeiten von Produktinnovationen”. Ein neues Produkt in einem neuen Markt, so wird angegeben, habe eine Erfolgswahrscheinlichkeit von 5%. Nun kann man den Autoren, beide renommierte Hochschullehrer, sicher nicht unterstellen an quellensauberes Arbeiten nicht gewöhnt gewesen zu sein. Die völlige Abwesenheit einer Quellenangabe bedeutet also entweder daß es sich um Allgemeinwissen handelt (also mindestens 5 Fundstellen ohne Quellenangabe bereits vorgelegen haben) oder um einen originären Beitrag der Autoren. Auch hier keine Studie, keine Umfrage. Nichts! Und immer noch keine Angaben zum möglichen Nutzen z.B. einer Diversifizierungsentscheidung!

Zwischenergebnis

Keine der Quellen beruft sich auf empirisch gesichertes Wissen. Die verbreitete Darstellung der Ansoff-Matrix ist also nicht nur einseitig auf Risiken fixiert und blendet den möglichen Nutzen aus. Die Auswirkungen dürften schwerwiegender gewesen sein, als im Falle des an viele Kinder zwangsweise verabreichten Spinats. Wie viele Unternehmen haben aus der Vorsicht heraus Abstand von Innovationen genommen? Welcher volkswirtschaftliche Schaden mag entstanden sein? Und der Schuster, der bei seinen Leisten blieb? Der wurde - wenn es ihn noch gibt - zwischenzeitlich vom Schlüssel-Absatz-Türschild-Kleineisenwaren-Tresen im Einkaufszentrum in eine kleine Marktnische abgedrängt.

Was soll man jetzt glauben?

  1. Spinat enthält etwa genau so viel Eisen wie andere Gemüse auch. Über viele Jahre wurde die Werte für getrockneten Spinat dem frischen zugeschrieben und abgeschrieben und abgeschrieben und abgeschrieben und…

  2. Von Ansoff selbst sind mir keine Aussagen zu Erfolg/Risiko/Kosten bekannt.

  3. Die Floprate von Innovationen liegt wohl unabhängig(!) von der Innovationshöhe zwischen 60 und 70% – Manager gingen nur “Auf Nummer sicher” (Berth. 2003. In HBM Juni auf der Basis von 432 Innovationsprojekten in 39 Branchen) und vermieden Durchbruchsinnovationen, Erneuerungsinnovationen oder gar den Aufbruch zu einer neuen Mission/Vision obwohl gerade das mit 19,9% im Durchschnitt die höchsten Renditen brächte. Das ist zumindest einmal ein Hinweis.

PS: Anders als mit der Anti-Innovations-Propaganda hat mich das mit dem Spinat nie gestört - ich mochte ihn schon als Kind und mag ihn noch. Am liebsten zu Spaghetti (doch echt - unbedingt ausprobieren. Schön Blattspinat und den Knoblauch nicht vergessen.)

–EDIT–

15.2.2012 - Schreibfehler korrigiert