Kapitel 5 Umfeldanalyse

Die Umfeldanalyse (engl.: environmental scanning) ist eine der wichtigsten und gleichzeitig schwierigsten Foresight-Praktiken. Hier erfahren Sie, wie sie durch systematisches Vorgehen in vier Stufen zu entscheidungsrelevantem Wissen kommen und wie Sie dieses in der Praxis dokumentieren.

5.1 Beschreibung

Umfeldanalyse ist das Finden, Verarbeiten und Nutzen von Informationen über Ereignisse, Trends und Verhältnisse im externen Umfeld des Unternehmens. Ziel ist die Sicherung bzw. Verbesserung der zukünftigen Position des Unternehmens durch richtige und rechtzeitige Anpassung an veränderte Gegebenheiten. Umfeldanalyse ist als Querschnittsmethode nicht nur Teil von Corporate Foresight, strategischer Planung und Risikomanagement. Ihr Fokus ist breiter angelegt als der von zum Beispiel Wettbewerbs- und Marktanalysen. Die Umfeldanalyse versucht, alle Sektoren die für die zukünftige Entwicklung des Unternehmens und seines Umfeldes (z.B. Lieferanten, Kunden, Mitarbeiter, …) relevant sind zu identifizieren und auf ihr Bedeutung für die Zukunft abzuklopfen. Das Spektrum reicht von der Entdeckung von Neuem bis zur kontinuierlichen Beobachtung laufender Entwicklungen.

5.2 Einsatzgebiet

Die Umfeldanalyse ist eine Methode der Zukunftsanalyse. Sie erzeugt Treffer, das sind kleine Informationsstücke über die Zukunft. Diese Treffer sind, wie Mosaiksteinchen: Im Zusammenhang ergeben sie ein Zukunftsbild.

5.3 Einbindung

Die Umfeldanalyse ist oft der erste Schritt eines Foresight-Prozesses. Sie bilden die Grundlage für Szenarien, Trendanalysen, Zukunftsbilder ganz allgemein und ist eine Vorstufe für Literatur-, Patent-, und qualifizierte Trendanalyse.

5.4 Durchführung

Für den Zweck der Umfeldanalyse wird das Umfeld nach dem Grad der Kontrolle eingeteilt in:

  1. Das Unternehmen selbst. Im internen Umfeld kann Kontrolle über Faktoren und Akteure ausgeübt werden.

  2. Das direkte Umfeld mit allen Akteuren / Faktoren die das Unternehmen (mehr oder weniger) beeinflussen kann. Hierher gehören zum Beispiel Kunden, Lieferanten, Handelsvertreter, Großhändler, usw. aber auch Gewerkschaften oder die Gemeinde, in der das Unternehmen seinen Sitz hat.

  3. Das indirekte Umfeld (oder Kontext). Hierher gehören alle Faktoren und Akteure, die zwar einen Einfluss auf das direkte Umfeld und das Unternehmen habe, die das Unternehmen selbst aber nicht beeinflussen kann wie zum Beispiel die gesamtwirtschaftliche Entwicklung oder neue regulatorische Vorgaben.

Direkte und indirekte Umfelder eines Unternehmens mit typischen Akteuren und Faktoren

Die Faktoren im direkten und indirekten Umfeld werden häufig nach der STEEP-Gliederung geordnet in:

  • Gesellschaftliche (Social),
  • technische,
  • wirtschaftliche (Economical),
  • ökologische bzw. Ressourcen (Ecological) und
  • politische Faktoren.

Selbstverständlich können Sie eine andere oder feinere Gliederung verwenden. Sie müssen in jedem Fall aber darauf achten, dass alle Sektoren des Umfelds erfasst werden. Die häufig anzutreffende Beschränkung auf das technische und wirtschaftliche Umfeld ist ein schwerer Fehler, denn bereits mittelfristig sind gesellschaftliche Faktoren (z.B. Wertewandel und Technologieakzeptanz) wesentlich Wirkungsstärker als wirtschaftliche oder technische. Eine gute Umfeldanalyse deckt stets alle Sektoren Ihrer Umfelder ab.

Umfeldanalyse ist eine Praxis, um Informationen über Ereignisse, Trends und Verhältnisse im externen Umfeld des Unternehmens zu Finden, Verarbeiten und zu Nutzen, um die zukünftige Position des Unternehmens durch richtige und rechtzeitige Anpassung an veränderte Gegebenheiten zu sichern bzw. verbessern.

Vier Schritte

  1. Longlist

    Beschreiben Sie das Themenfeld zunächst grob, suchen Sie in vielen Quellen und schränken Sie dann auf die ergiebigsten ein. Berücksichtigen Sie von Anfang an, wofür Sie das Ergebnis einsetzen möchten.

    Erstellen Sie eine Longlist (z.B. als Excel-Tabelle) mit den wichtigsten Feldern (Quelle, Titel, Kernaussagen, Einschätzung z.B.) in der Sie die für Sie relevanten Informationen während Ihrer Suche erfassen. Eine typische Longlist hat zwischen 100 und 300 Treffern.

  2. Bewertung

    Optional: Strukturieren Sie die Longlist nach Themen, die sich während der Informationssuche ergeben haben (z.B. …)

    Ergänzen Sie die Longlist um eine Spalte für die STEEP-Kategorie des Treffers.

    Ergänzen Sie die Longlist um Bewertungsspalten, z.B. Auswirkungsstärke, Plausibilität, Neuheit und Rechtzeitigkeit.

    Führen Sie die Klassifizierung und Bewertung nach den Skalen auf dem (vgl.) Formular zur Erfassung von Treffern durch.

TIPP: Am besten bewerten mehrere Personen unabhängig voneinander. Bilden Sie am Schluss den Mittelwert aller Einzelbewertungen. Achten Sie auch darauf, wo die Einschätzungen weit auseinandergehen und spüren Sie den Gründen für diese unterschiedlichen Einschätzungen nach.

  1. Shortlist Wählen Sie die am höchsten bewerteten Treffer (eine oder eine Kombination mehrerer Spalten) aus der Longlist aus. Achten Sie darauf, dass alle STEEP-Kategorien enthalten sind. Wenn Sie Kategorien gebildet haben, achten Sie darauf, dass diese angemessen repräsentiert werden - Die Kategorie mit den meisten Treffern ist erfahrungsgemäß selten die Wichtigste für die Zukunft sondern eben derzeit in einem Aufmerksamkeitshoch.

TIPP Weiterführende Hinweise für die Bewertung von Quellen finden Sie im Kapitel qualifizierte Trendanalyse.

Dokumentieren Sie diese (typischerweise zwischen 5 und 25) Treffer detailliert mit dem (vgl.) Formular zur Erfassung von Treffern.

  1. Nutzung

    Jetzt kommt es darauf an, was Sie daraus machen. Nutzen Sie das Ergebnis zum Beispiel

    • als Auftakt zu einer qualifizerten Trendanalyse
    • als Input für das Roadmapping oder in Innovationsworkshops
    • als ‘Prüfstein’ für eine Strategie oder eine neues Produkt
    • usw.

5.5 Fazit

  1. Longlist
    Erstellen Sie eine Longlist in der Sie während Ihrer Suche die relevanten Treffer erfassen.

  2. Bewertung und Auswahl
    Ergänzen Sie die Longlist um Bewertungsspalten, bewerten Sie alle Treffer z.B. nach Neuheit und Auswirkungsstärke

  3. Shortlist
    Wählen Sie die am höchsten bewerteten Treffer aus der Longlist aus. Beschreiben Sie diese detailliert. Zum Beispiel mit dem folgenden Formular.

  4. Nutzung
    Nutzen Sie das Ergebnis z.B. für Trendanalyse oder Roadmapping

5.6 Formular zur Erfassung von Treffern bei der Umfeldanalyse

Dieses Formular ist ein Vorschlag für die Systematisierung der Erfassung von Treffern bei Ihrer Umfeldanalyse. Werten Sie die Quelle mit Hilfe des Formulars <> aus und schätzen Sie sie entsprechend ein. Nur wenn Umfeldanalysen systematisch durchgeführt und dokumentiert werden können Sie deren Ergebnisse wiederverwenden. So wird Ihre Zukunftsarbeit effizienter. Außerdem gewinnen Sie nach einigen Analysen einen wertvollen Überblick, wie sich Themen im Zeitverlauf entwickeln.

TIPP: Nutzen Sie ein Datenbanksystem zur Ablage und Recherche.

TIPP: Aus einer Quelle können mehrere Treffer resultieren, z.B. wenn mehrere Themen oder Szenarien behandelt werden.

Formularfeld Beschreibung
QUELLE
Titel Überschrift / Titel der Quelle
Verfasser Der/Die Verfasser* der Quelle
Datum Das Veröffentlichungsdatum
Quellenangabe/URL Die korrekte und vollständige Zitation der Quelle, der Organisation, die Website, …, die die Quelle veröffentlicht hat. Bitte arbeiten Sie ‘wissenschaftlich korrekt’ hier, denn nur dann haben Ihre Leser die Chance die Quelle selbst zu finden.
EINORDNUNG
STEEP Kategorie(en) In welche STEEP-Kategorie(en) ordnen Sie den Treffer ein? Geht es um die Gesellschaft, Technologie, Wirtschaft, Umwelt/Ressourcen oder Politik/Regulierung?
Schlüsselworte/Tags Weitere Schlüsselworte, die den Treffer beschreiben. Vor allem bei Nutzung von Datenbanksystemen vorteilhaft.
BESCHREIBUNG
Kernaussage(n) Kurze Wiedergabe des relevanten Inhalts, des Ereignisses, der Information. Was ist geschehen bzw. was an der Information ist neu?
Wie könnte sich dadurch die Zukunft verändern? Ein kurzer Vergleich der von Ihnen antizipierten Zukünfte vor, bzw. Nach dem Ereignis oder der neuen Information. Wie erwarten Sie, wird sich dadurch die Zukunft verändern?
AKTEURE
Wer ist der ‘Treiber’ für das Thema? Aus welchen Gründen? Gibt es einen erkennbaren ‘Treiber’ hinter dem Ereignis, Plan, usw. Wer ist das? Was ist seine Motivation. Wenn Sie können, benennen Sie auch seine Verbündeten oder Gegner für das Vorhaben. Was motiviert den Treiber, das Thema zu treiben?
Was sind die potentiellen Auswirkungen auf…? Akteur(e) oder Betroffene(r): Nennen Sie den/die spezifischen Akteur(e), Betroffenen, Gruppe, Nation, … oder ein Themenfeld.
Potentielle Auswirkungen: Nennen Sie die (potentiellen) zukünftigen Auswirkungen auf jeden diesen Akteure usw. Bitte machen Sie deutlich, ob diese in der Quelle genannt werden oder ob es sich um Ihre Einschätzung handelt.
EINSCHÄTZUNG
Einschätzung ggü. Szenarien / vorigen Scans (wenn vorhanden) Bestätigt: Bestätigt die ‘überraschungsfreie Standardzukunft’, Einen bestehenden Plan, Trend, Rahmenbedingung.
Richtungweisend: Spricht für ein bestimmtes Szenario oder erhöht die Wahrscheinlichkeit des Gelingens für den Plan eines Akteurs
Erzeugend: Erzeugt ein neues Szenario
Wild-Card: Hinweis auf ein unwahrscheinliches Ereignis das mit starken Auswirkungen einhergeht.
Szenario Wenn Sie mit Szenarien arbeiten, dann nennen Sie hier das Szenario (oder die Szenarien), auf die sich obige Einschätzung bezieht.
Skalen Definieren Sie einige Skalen (von 0 bis 3 oder 0 bis 5), auf denen Sie den Treffer einschätzen können. Z.B.:
Auswirkungsstärke (engl.: Impact): Wie stark kann die Information oder das Ereignis die Zukunft ändern?
Plausibilität: Wie plausibel ist es, dass diese Veränderung tatsächlich eintritt?
Neuheit: Wie hoch ist der Neuigkeitswert des Treffers?
Rechtzeitigkeit: Ist die Zeit für Ihr Unternehmen / die Betroffenen ausreichend, um zu reagieren?
PERSON
Analyst Der Name der Person, die diesen Treffer dokumentiert hat
Datum Dok. Das Datum, an dem der Treffer dokumentiert wurde.

5.7 Weiterführende Informationen

Choo, Chun Wei. The art of scanning the environment. In: Reframing Environmental Scanning: A reader on the art of scanning the environment (Monograph Series No. 4). Voros, Joseph (Hrsg.) Swinburne (Australien): Swinburne University. 2003.

Formular: in Anlehung an Bishop & Hines, 2012, Teaching About the Future. S. 288