Kapitel 11 Visioning
Ohne Vision kann eine Strategie nur reaktiv sein. Eine Vision ohne konkrete Ziele und Strategie gerät leicht zum Luftschloss. Eine echte Vision aber ist eine ausdauernde Triebfeder für die Entwicklung des Unternehmens.
Vision: in jemandes Vorstellung besonders in Bezug auf Zukünftiges entworfenes Bild. Duden, Die deutsche Rechtschreibung
11.1 Beschreibung
Bei einer Vision geht es nicht um das Sehen (denken Sie an die häufigen Fernrohr- und Glaskugelbilder), sondern um das erreichen wollen, den Anspruch und die Ambitionen des Unternehmens, seiner Mitarbeiter und Führungskräfte. Es geht um wünschenswerte Zukünfte. Eine Vision hat daher eine andere Qualität als die wahrscheinlichen und möglichen Zukünfte aus der Zukunftsanalyse. Die meisten Visionsprozesse lehnen sich an das Ablaufschema der Zukunftswerkstatt mit Kritik-, Visions- und Umsetungsphase an.
Einen Visionsprozess sollten Sie nur starten, wenn von vornherein klar ist, dass Sie das Ergebnis auch ernst nehmen und umsetzen werden. Nichts tötet das Engagement Ihrer Mitarbeiter effizienter als das Verwerfen einer Vision, die mit viel Engagement erarbeitet wurde.
Der Moderator muss in der Lage sein eine positive Atmosphäre für die gemeinsame Diskussion von Werten und Bestrebungen zu schaffen. Ihr/Ihm kommt eine Schlüsselrolle zu, denn er/sie muss die Teilnehmer ermutigen, ihre Hoffnungen, Wünsche und Träume nicht nur für das Unternehmen sondern auch die Zukunft der Gesellschaft und der Menschheit einzubringen.
TIPP: Eine Konzentration des Visionsprozesses alleine auf das Unternehmen während raubt der entstehenden Vision genau die Kraft, die notwendig ist um Menschen zu motivieren.
11.2 Einsatzgebiet
Eine Vision ist ein von innen (dem Unternehmen) nach außen (z.B. Kunden, Mitarbeiter oder Gesellschaft) gerichtetes Zukunftsbild. Das unterscheidet diese Methode von allen anderen, die in diesem Foresight-Guide behandelt werden, denn sie sind von außen (Veränderungen) in das Unternehmen hinein gerichtet. Ein Visionsworkshop nimmt ein bis zwei Tage in Anspruch. Für Vor- und Nachbereitung sind weitere 5-6 Personentage (je nach Gründlichkeit und Organisationsaufwand) erforderlich. Am Aufwendigsten ist die Vorarbeit: die notwendige Verbindlichkeit des Ergebnisses und die Umsetzungsbereitschaft für die Vision sicher zu stellen. Sie kann lange benötigen.
11.3 Einbindung
Die Visionsentwicklung spielt in der Phase Zukunftsbild eine besondere Rolle. Sie liegt typischerweise am Ende der Zukunftsanalyse, z.B. wie in dem im Folgenden skizzierten Vorgehensmodell:
- Zukunftsanalyse und (externes) Zukunftsbild z.B. Umfeldanalyse und Szenarien
- Visionsentwicklung (internes Zukunftsbild) um Identität, Ambitionen und Anspruch zu klären
- Relevanzdiagnose und rechtzeitig handeln
Ein Visionsprozess soll auf keinen Fall nach ‘Schema F’ durchgeführt werden. Anpassung an die Teilnehmer, die konkrete Situation und das Unternehmen ist erforderlich. Z.B. kann eine Vision vorhanden sein, die überprüft werden soll oder eine neue Unternehmensleitung möchte die Vision maßgeblich mit gestalten.
11.4 Durchführung
Tipp: Für einen internen Moderator ist die Aufgabe schwieriger als für einen externen. Wenn Sie Führungskraft sind sollten Sie keinesfalls versuchen, einen Visionsworkshop moderieren.
Vorbereitung: Sichern Sie das Mandat der Teilnehmer zur Erarbeitung der Vision und die Verbindlichkeit des Ergebnisses. Legen Sie Teilnehmerkreis, Ort (am besten außerhalb des Unternehmens) und weitere technische Details fest.
Visionsworkshop moderiert in offener Atmosphäre durchführen (typischer Ablauf):
Mögliche und wahrscheinliche Zukünfte; Stakeholder Welche Veränderungen und Szenarien sehen wir? Wer sind unsere Stakeholder (Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter, Handelsvertreter, Behörden, …) und welchen Veränderungen unterliegen sie? Wie unterscheidet sich das Umfeld (vgl. Umfeldanalyse) der Zukunft von dem heute und in der Vergangenheit?
Erstrebenswerte Zukünfte der Teilnehmer: Wo wollen wir hin? Wohin leiten uns unsere Werte? Auf welche Errungenschaften wären wir heute in 20 Jahren stolz? (Erstrebenwerte Zukünfte sind keinesfalls simple, bequeme oder angenehme Zukünfte. Machen Sie es sich nicht zu einfach!)
Gemeinsame Vision der Teilnehmer: Führen Sie einen Dialog über die Visionen der Teilnehmer. Finden Sie die gemeinsamen Elemente. Formulieren sie gemeinsam(!) eine Vision als Leitstern für die Zukunft - wenn möglich in einem Satz. Zwei bekannte Beispiele für solche Sätze sind:
“Einen Menschen auf den Mond schicken und sicher zurückbringen, bevor das Jahrzehnt vergangen ist.” J.F. Kennedy.
“Ich möchte ein Auto für die ganze Gesellschaft bauen.” H. Ford.
- Ehrgeizige Ziele: Was sind die wichtigen und konkreten Schritte, die dazu beitragen, dass die gemeinsame Vision Wirklichkeit wird. Diese Ziele sollen konkret und wenn möglich auch messbar formuliert und vom gesamten Teilnehmerkreis getragen werden.
- Nachbereitung vornehmen, Umsetzung begleiten Erstellen Sie ein ausführliches Protokoll. Es ist eine wichtige Erinnerung für alle Teilnehmer an den Visionsprozess und enthält als Ideenspeicher viele Anregungen zur Weiterarbeit. Es ist auch wichtig, um die Vision in die Breite tragen, dazu benötigen Sie ggf. eine erläuterte, publikationsfähige Version des Protokolls. Der Prüfstein für einen Visionsprozess ist die Umsetzung. Stellen Sie sicher, dass die Vision in den folgenden Schritten z.B. Auswirkungsanalyse, Trendradar und Roadmapping berücksichtigt wird. Der Visionsworkshop muss geplanter und wichtiger Teil des Foresight-Prozesses sein, kein ‘Extra’.
Tipp: ‘Aufhängen ist nicht genug.’ Planen Sie Folgeaktivitäten systematisch. Begleiten Sie die Nutzung der Vision in den Folgeschritten der Planung und Innovationsaktivitäten.
11.5 Fazit
- Führen Sie einen Visionsprozess nur durch, wenn Sie das Ergebnis auch ernstnehmen und umsetzen wollen. Sonst erzeugen Sie Frustration statt Begeisterung.
- Bereiten Sie den Visionsprozess sorgfältig vor
- Führen Sie den (oder in großen Organisationen mehrere) Visionsworkshop durch
- Bereiten Sie das Ergebnis ausführlich auf
- Stellen Sie sicher, dass die Vision in Planung und Innovationsaktivitäten genutzt wird. Begleiten Sie die Nutzung der Vision in den folgenden Schritten
11.6 Weiterführende Informationen
Bezold, Clem. Aspirational Futures. In: Journal of Futures Studies, May 2009, 13(4): 81 - 90
Jungk, R., Müllert, N. R. Zukunftswerkstätten: Mit Phantasie gegen Routine und Resignation. Heyne, München. 1989.