Kapitel 3 Der Systems Iceberg

EREIGNISSE - TRENDS - MUSTER - STRUKTUREN

Der Systems Iceberg definert Ereignisse, Trends und Muster und wie sich diese aus einander ergeben. Er ist ein wichtiges Modell, um Themen besser zu analysieren und klare und konsistente Zukunftsbilder zu formulieren und das Timing der Zukunft zu verstehen.

Das Modell des ‘Systems Iceberg’

3.1 Beschreibung

Stehen mehrere Ereignisse die Sie sehen in einem größteren Zusammenhang? Wird sich ein Trend fortsetzen? Ist ein Umschwung möglich? Was könnte eine Veränderung auslösen? Um Fragen wie diese besser zu beantworten muss in die Tiefe gegangen werden.

Etwa ein Zehntel des Volumens eines Eisbergs liegen über der Wasserlinie; neun Zehntel darunter verborgen. Ihre Form kann aus der Erscheinung des Eisbergs über Wasser nur unvollständig ermittelt werden. Ebenso verhält es sich mit Politik, Wirtschaft, Gesellschaft oder Unternehmen, denn diese sind komplexe (soziale) Systeme.

Je weiter Sie in die Zukunft schauen wollen, desto tiefer im Eisberg-Bauch sind die für die Entwicklung wichtigen Informationen verborgen. Ereignisse können zufällig sein. Um zu verstehen ob sie es sind müssen Sie Trends betrachten. Trends sind häufig Teil von größeren Mustern z.B. von Konjunkturzyklen oder Technologielebenszyklen. Muster ergeben sich aus der Struktur des darunterliegenden Systems. Bekanntes Beispiel dafür ist der Schweinezyklus; aus der selben Systemstruktur (verzögerte Wirksamkeit von Investitionen) entstehen die Zyklen des Rohstoffmarktes. Die Systemstruktur selbst wird durch das zugrundeliegende Wertesystem beeinflusst: Eine Planwirtschaft kennt keinen Schweinezyklus - dafür andere Probleme.

3.2 Einsatzgebiet

Das Modell des Systems-Iceberg ist wichtig,

  • um die Tiefe der Analyse in der Phase Zukunftsbild zu steuern und

  • um die Tiefe der Analyse an den Zeithorizont anzupassen.

3.3 Einbindung

Verständnis durch Breite der Analyse (vgl. Die Methoden im Abschnitt Zukunftsanalyse) ergänzen durch Tiefe der Analyse (vgl. die Methoden im Abschnitt Zukunftsbild)

3.4 Durchführung

Ordnen Sie Informationen den Eisberg-Ebenen zu. Finden Sie fehlende Informationen. Überlegen Sie, wie alles zusammenpasst: Ergeben Ereignisse wirkliche einen Trend? Ist ein Trend Teil eines Musters? Gibt es ernstzunehmende Belege für diese Schlussfolgerung?

  1. Ebene: Ereignisse
  • Aktuelle Ereignisse; Zeitungsschlagzeilen.
    • “Heute Morgen hat es geschneit.”
    • “Unser Wettbewerber hat ein innovatives Produkt vorgestellt.”
    • “Mann beißt Hund!”
    • “Drei neue Wettbewerber in diesem Jahr.”
  • Der Harman-Fan als Szenario-Methode wird z.B. aus ‘Schlagzeilen der Zukunft’ aufgebaut.
  • Problemlösungen auf Ereignis-Ebene sind reaktiv und kurzlebig.
  1. Ebene: Trends
  • Ein Trend bedeutet immer: Mehr oder weniger von Etwas. Seien Sie präzise in der Beschreibung - ein einzelnes Schlagwort (“Wettbewerb”) genügt nicht.
  • Trends gibt es in unterschiedlicher Reichweite. Dazu zwei Beispiele aus dem Themenfeld Demographischer Übergang:
    • Urbanisierung (ein steigender Anteil aller Menschen leben in Städten) ist einer der wenigen echten globalen Trends.
    • Die Alterung der Bevölkerung betrifft im wesentliche frühindustrialisierte Staaten wie Japan und Deutschland.
  • Trends sind die häufigste Ebene der Zukunftsanalyse - Welche Veränderung finden statt? Wo, wie schnell, wer ist betroffen.
  • Eine gute Trendformulierung ist z.B. “Zunehmende Gründungen durch Hochschulen in unser Branche.” Ein solcher Trend wäre dann noch um möglichst präzise Zahlen, Daten, Fakten zu ergänzen (vgl.Qualifizierte Trendanalyse).
    TIPP: Achten Sie darauf echte Trends statt Moden zu betrachten. Einzelne ‘Superfoods’ sind kein Trend sondern Moderscheinungen, die sich nahezu jährlich ablösen. Gesunde Ernährung dagegen ist seit Jahren ein Trend.
    TIPP: Überprüfen Sie sogenannte Trends vor Übernahme aus Ihren Quellen sorgfältig. Oft soll Ihnen das Wort Trend nur einreden, etwas wäre wichtig.
  1. Muster
  • Saisonalität, Zyklen, Substitutionskurven, Sättigungseffekte, … Es gibt viele Muster. Wenn ein Muster erkennbar ist ermöglicht es ein gutes Verständnis der weiteren zeitlichen Entwicklung.
  • Einige Beispiele für Muster sind:
    • Saisonalität: Weihnachtsbäume verkaufen sich nicht im Sommer; Eiscreme nicht im Winter.
    • S-Kurven: Die Leistungsfähigkeit einer Technologie kann nicht genzenlos gesteigert werden. Mit der Annäherung an physikalische Grenzen (100% Wirkungsgrad z.B.) sinkt die Steigerungsrate.
    • Lebenszyklen: Produktgenerationen, Technologien, Marktführer, … lösen einander ab.
    • Zyklen: Konjunktur, Rohstoffpreise, … unterliegen periodischen Schwankungen.
    • Hype-Cycle: Ein sehr bekanntes Muster der Unternehmensberatung Gartner für die tatsächliche Diffusion von Innovationen vs. deren Wahrnehmung.
      TIPP: Prüfen Sie auch bei renomierten Quellen sorgfältig! Wie es falsche Trends gibt, gibt es falsche Muster: Der Baby-Boom neun Monate nach großen Stromausfällen zum Beispiel hält einer empirischen Überprüfung nicht stand.
  1. Ebene: Strukturen
  • Abstrakte Gestalt des Systems aus Akteuren und deren Interaktion.
  • Die Strukturelle Ebene stellt allgemeinere Abstraktionen bereit, die z.B. Zyklen (Rohstoff, Schweine, Lehrermangel vs. -überschuß, …) allgeimeingültig erklären können.
  1. Ebene: Ethos
  • Die Werte und Vorstellungen, die das System in-formieren
  • Von wissenschaftlichem und philosophischem Interesse. Für die Arbeit im Unternehmen selten relevant.

3.5 Fazit

Der Systems Iceberg ist ein wichtiges ‘Denkzeug’ beim konstruieren konsistenter Zukunftsbilder und zum Einordnen von Informationen bei der Zukunftsanalyse.

3.6 Weiterführende Informationen

https://de.wikipedia.org/wiki/Schweinezyklus

Für den Zusammenhang von Mustern und Strukturen sowie einige ‘Systems Archetypes’: Senge, Peter M. The Fifth Discipline: The Art & Practie of the Learning Organisation. Revised Edition. Doubleday: 2006. Kapitel 5 bis 7.

Ein sehr wichtiges Buch zur (Kritik der) Pop-Futuristischen Trendforschung ist: Rust, Holger. Zukunftsillusionen: Eine Kritik der Trendforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. 2008.

Über die Schwierigikeit der Ableitung von Trends aus Ereignissen (denn der Mensch kann Trends und Muster erkennen, wo nur Zufall ist): A Beautiful Mind. (FILM) Regie: Howard, Ron. Universal Pictures: 2001.